50 Jahre, ein halbes Jahrhundert oder auch fast doppelt so viel an Jahren wie die vielen neuen Mitarbeiter*innen jung sind.
Ich selber bin seit 32 Jahren für diesen Verein tätig. Als Praktikantin habe ich zu der Zeit in dem ersten Therapiezentrum, damals nannte sich der Verein noch „Hilfe für das autistische Kind e.V.“, in der Feuerkuhle in Bremen mit einem kleinen Team begonnen.
Das Team bestand aus Herrn Helbig-Hamelmann, Frau Arens-Wiebel, Herrn Dzikowski, Frau Münchmeyer, Frau Hamelmann, Frau Dörr und Frau Knoke, die damals alles, was außerhalb des therapeutischen Bereichs fiel, in einem winzigen Büro, der uns auch gleichzeitig oft als Aufenthaltsraum diente, bearbeitete. Damals wie heute eine sehr individuell und persönlich ausgerichtete Therapie, jedoch mit einigen Unterschieden.
Zu der Zeit kannten wir noch kein Asperger-Syndrom und wir gingen von anderen Ursachen aus. Unsere Klientel bestand aus frühkindlichen Autist*innen, unter denen sehr viele, und das war nicht ungewöhnlich, mit aggressiven und massiv selbstverletzenden Verhaltensweisen auf kleinste Veränderungen reagierten.
Meine ersten Therapiestunden fanden Zuhause bei einem kleinen Jungen statt, der an allen Extremitäten fixiert in seinem Bett lag, um ihn vor sich selbst zu schützen. Die ersten therapeutischen Schritte waren das behutsame Lösen der Fixierungen und das Verhindern von weiteren Verletzungen.
30 Jahre später sieht meine Arbeit und die meiner Kollegen*innen aus der Feuerkuhle, von denen nur Frau Münchmeyer und ich noch therapeutisch tätig sind (es sind eben Jahrzehnte später), ganz anders aus. Autismus ist nicht mehr nur Autismus, sondern inzwischen sprechen wir von einer Autismus-Spektrum-Störung. Und genauso wie sich der Begriff erweitert hat, hat sich auch der Verein erweitert und alles, was damit einhergeht.
Mein erster Klient mit Asperger-Syndrom kam erst viele Jahre später und aus heutiger Sicht bin ich ihm sicher nicht gerecht geworden. Mit dem Asperger-Syndrom betraten wir wieder Neuland, sind unbekannte Wege gegangen und haben uns neue therapeutische Methoden angeeignet. Das ist übrigens charakteristisch für unsere Arbeit.
Um „erfolgreich“ zu arbeiten, ist es wichtig, die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, stetig zu modifizieren, anzupassen und zu erweitern. Veränderung ist dabei ein wichtiges Schlüsselwort. 50 Jahre Arbeit im Bereich Autismus bedeutet auch 50 Jahre Anpassung an die individuellen Herausforderungen, ein- hergehend mit Flexibilität und vor allem Offenheit für Neues und dem damit einhergehenden Wandel.
Ein wichtiges Ereignis in der Geschichte war der Erwerb einer eigenen Immobilie in der Clamersdorfer Straße und die Gestaltung derselben. Hermann Cordes, der damalige erste Vorsitzende und einer der Gründungsväter, ließ alle Fester und Türen in der Farbe Lila streichen, spektakulär. Das gab für viele Jahre immer wieder Anlass für reichliche Diskussionen. Dieser Geist von dem Besonderen ist auch heute noch in dem ersten Autismus-Therapiezentrum in Schönebeck zu spüren, in der Einrichtung, den Mitarbeiter*innen und in der Arbeit mit den Klient*innen.
Die Entwicklung ging mit Bremerhaven weiter, erst als Dependance von Bremen unter der Bremer Leitung und später dann als eigenständige Einrichtung. Aus den ehemaligen Räumen in der Feuerkuhle in Bremen sind inzwischen 7 Autismus- Therapiezentren in Bremen, Bremerhaven und Cuxhaven entstanden und die Planung der Erweiterung schreitet voran.
Zu Zeiten der Feuerkuhle kamen die Familien teilweise von so weit her, dass die Fahrtwege die eigentliche Therapiezeit weit überschritten. Auch dadurch bekam die Therapie häufig einen ganz besonderen Stellenwert und in der Regel bestand auch ein intensiver Kontakt zu den Familien. Die Erwartungen und die auf sich genommenen Mühen waren hoch und erfreulicherweise ebenso die Dankbarkeit unserer Arbeit gegenüber.
Das was wir unseren Klient*innen abverlangten, haben auch wir uns abverlangt. Nie aufzugeben, selbst äußerst schwierige Klient*innen zu halten, voranzubringen und sich zu trauen, mitunter ungewöhnliche Wege zu gehen. In der Umsetzung reichten manchmal auch Kleinigkeiten, beispielsweise das persönliche Parfum erst nach der Arbeit zu benutzen, um die überempfindlichen Klient*innen nicht unnötig zu stressen, längere Ohrringe gar nicht und die Brille besser erst wieder nach der Therapie aufzusetzen. Die Arbeit mit dem Klient*innen stand und steht immer an der ersten Stelle. Ein „Geht nicht / Gibt es nicht“ war nie eine Option. Dies führte im Laufe der Jahre zu unglaublich viel Kreativität. Neue Ansätze wurden erprobt, Materialien selber erstellt, Entwicklungen veröffentlicht und das ist bis heute so.
Meine Klientel sind inzwischen vor allem Menschen mit dem Asperger-Syndrom, darunter viele erwachsene Frauen, die meine Arbeit auf eine ganz andere Art herausfordern. Viele Gespräche finden auf Augenhöhe statt, da geht es um Themen wie Berufsausbildung, Studium, Arbeit, Beziehungen, Partnerschaft und Familie, um nur einige zu nennen.
Damit möchte ich abschließend zum Ausdruck bringen, dass diese überaus interessante und abwechslungsreiche Arbeit (wie sonst auch können es 32 von den 50 Jahren geworden sein!), diese erfolgreiche Entwicklung noch lange nicht beendet ist. Wir bestehen seit 50 Jahren, weil die Gründungsmitglieder dieses Vereins und die Therapeut*innen in den vergangenen Jahren mit sehr viel Leidenschaft, Begeisterung und persönlichem Engagement dazu beigetragen haben.
Für die Zukunft wünsche ich uns allen, dass wir Wertschätzung, Fürsorge und die Achtung für- und voreinander im Blick behalten, denn dann bin ich sicher: Fortsetzung folgt!