Der frühkindliche Autismus wurde bereits 1946 in den USA entdeckt, in Deutschland war er noch in den 70er Jahren weitgehend unbekannt. Psychologen und Ärzte konnten den Eltern keine Hinweise zum Umgang mit den Kindern geben. Therapeuten und Lehrer hatten keine pädagogische-therapeutischen Konzepte zur Förderung dieser Kinder.
1972 taten sich sieben Elternpaare in Bremen nach vielen Irrwegen und erfolglosen Behandlungsversuchen zusammen und gründeten den Elternverein Hilfe für das autistische Kind Bremen e.V.. Zu dieser Zeit förderte die Bundesrepublik Modellversuche im Bildungswesen mit 50 % alle Kosten, wenn neue pädagogische Ansätze auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden. Träger konnten die Bundesländer oder auch eingetragene Vereine sein. Das Ziel des Elternvereins war, für autistische Kinder Fördersituationen zu schaffen, in denen sie individuell lernen und sich weiterentwickeln konnten. Drei Monate nach Antragstellung erkannte der Innovationsausschuss der Bund-Länder- Kommission für Bildungsplanung das „Bremer Projekt: Kompensatorisches Programm“ für autistische Kinder als innovativ und somit förderungswürdig an.
Als nächsten Schritt suchten die Eltern Mitarbeiter und Räume. Das Kompensatorische Programm wurde zusätzlich zum Unterricht am Nachmittag durchgeführt und die Eltern von Psychologen gecoacht. Für die Kinder war es ein Durchbruch: Sie konnten am Unterricht teilnehmen und lernten in kurzer Zeit mehr als sie vorher in den bisherigen Einrichtungen gelernt hatten. Nach diesem Erfolg beantragte der Verein 1976 die Einrichtung einer Sonderklasse für autistische Kinder als Folge- Modellversuch, der auch genehmigt wurde. Die Kinder waren nun ganztägig in der Sonderklasse und konnten umfassend gefördert werden.
Der Schwerpunkt der Arbeit des neuen Vereins waren die drei Modellversuche zur schulischen Förderung autistischer Kinder, die unter dem Namen „Bremer Projekt“ bekannt wurden.
1. Kompensatorisches Programm für autistische Kinder (1972-1975)
2. Sonderklasse für autistische Kinder (1976-1978)
3. Weiterentwicklung, Erprobung und Revision von Lernprogrammen für autistische Kinder unter Einbeziehung einer Lehrerfortbildung (1979-1982)
Der 1. Vorsitzende Hermann Cordes, Lehrer und selbst Vater eines autistischen Sohnes, war Leiter dieser Modellversuche. Die drei Modellversuche wurden gleichzeitig von einem Team aus Psychologen, Psychiatern und Pädagogen wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Zu diesem Team gehörten Prof. Dr. H. E. Kehrer (Münster), Dr. F. W. Wilker (Gelsenkirchen), Dr. H. Ott, (München). und Prof. Dr. U. Hermann (Bremen). Im dritten Modellversuch wurden Programme und Ansätze evaluiert. In der Lehrerfortbildung wurden vier Gruppen von Lehrern/Therapeuten aus der Bundesrepublik und sogar aus der DDR in dreiwöchigen Kursen in den Methoden der Verhaltenstherapie und Erstellung von Lernprogrammen unterrichtet.
Die Sonderklasse konnte als Modellversuch nur eine begrenzte Zahl von Kindern aufnehmen. Da die Nachfrage aber sehr groß war, entschloss sich der Elternverein 1977 eine Ambulanz für autistische Kinder in der Feuerkuhle aufzubauen, die Therapien zunächst für 13 Kinder anbot. Die Psychologen Brigitte Staar-Erzberger und Volker Helbig-Hamelmann sollten ein ambulantes Therapieangebot aufbauen. Unterstützt wurden sie durch die Erzieherin Marion Twenhöfel bei der kreativen Ausgestaltung der therapeutischen Angebote. In der damaligen Ambulanz wurde Pionierarbeit geleistet, denn es gab im Vergleich zu heute wesentlich weniger Literatur und Therapiematerialien, kaum Erfahrungen und auch keinen Austausch mit anderen Autismustherapeuten.
Hervorzuheben sind die hohe Motivation und das besondere Engagement aller Beteiligten des Bremer Projekts. Eltern richteten in Eigenarbeit Räume ein mit Wänden aus Holzpaneelen, Einwegscheiben und ausrangierten Schulmöbeln. Bereits in den 80er Jahren wurde Elternarbeit großgeschrieben und man traf sich regelmäßig gemeinsam zu Projekten und Elternabenden mit Therapeuten, Eltern und den autistischen Kindern.
Aufgrund der hohen Nachfrage waren die Räumlichkeiten in der Feuerkuhle zu klein und der Verein entschloss sich 1993 eine Immobilie in Bremen-Schönbeck zu erwerben. Leiter dieses Therapiezentrums war Volker Helbig-Hamelmann, der bereits 1981 zum Leiter der Ambulanz in der Feuerkuhle ernannt wurde. Während in der Anfangszeit frühkindliche Autisten therapiert wurden, wurden nun auch Asperger-Autisten behandelt.
Mittlerweile gibt es sieben Autismus-Therapiezentren, die ein umfassendes Angebot für Menschen mit Autismus sowie deren Angehörige anbieten. Zu den Arbeitsschwerpunkten zählen die Therapie und Beratung, Institutionsberatung, Krisenintervention, Fortbildungen. Für autistische Kinder im Vorschulalter bietet der Verein eine heilpädagogische Frühförderung Autismus an. Der Verein beschäftigt im Moment 105 Mitarbeitende und betreut 414 Menschen mit Autismus, davon sind 55 in der Frühförderung. Ein ehrenamtlicher Vorstand – bestehend aus sieben Mitgliedern – führt den Verein.
Neben den Therapiezentren gibt es verschiedene Wohneinrichtungen. Die autismushilfen gGmbH, deren Gesellschafter unser Verein ist und die derzeit ebenfalls rund 100 Mitarbeitende beschäftigt, betreibt mit Hof Meyerwiede und der Grünen Gilde zwei Lebensgemeinschaften für erwachsene Menschen mit einer autistischen Behinderung und mit Haus Hemelingen eine Wohngemeinschaft für 7 Erwachsene mit der Diagnose Asperger- oder High- Functioning-Autismus. Für diejenigen, die in ihrer eigenen Wohnung leben möchten, bietet unser Verein zudem Unterstützung durch die Ambulante Autismushilfe.
Unser besonderer Dank gilt unserem Ehrenvorsitzenden Hermann Cordes, den Gründungseltern und Unterstützern deren außergewöhnliches Engagement im Bremer Projekt der Grundstein für den Aufbau der Therapie- und Wohnangebote für Menschen mit Autismus war.