von Andy Evermann
Mein Name ist Andy Evermann, ich bin 21 Jahre alt und ich bin Autistin. Als ich 2017 im Alter von fast 17 Jahren mit „Autismusspektrumsstörung im Sinne eines Asperger-Autismus“ diagnostiziert wurde, hatte ich keine Ahnung, was für eine Geschichte hinter dieser Diagnose steckt. Das meiste, was ich von Asperger-Autismus wusste, kam davon, dass ich „Big Bang Theory“-Fan war und vor Ewigkeiten einen Kumpel hatte, der diese Diagnose bekam. Viele Autisten mit der gleichen Diagnose nennen sich stolz „Aspies“ oder eine Variation dessen. Es ist für viele ein integraler Teil ihrer autistischen Identität geworden, sich stolz Asperger-Autist oder „Aspie“ zu nennen. Jedoch kennen diese, genau wie ich lange Zeit, die Bedeutung und Geschichte hinter diesem Begriff nicht.
Zuerst einmal muss gesagt werden, dass „Asperger-Autismus” oder „Asperger-Syndrom” schon seit ca. 2013 eigentlich keine valide Diagnose mehr ist. 1994 wurde es in den diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen aufgenommen, nur um 2013 wieder aus eben jenem zu verschwinden. Dieser Leitfaden ist ein offizielles Klassifikationssystem in der Psychiatrie. Warum wurde Asperger-Autismus denn dann 1994 aufgenommen, nur um 2013 wieder zu verschwinden? Die Antwort liegt in vielen Dingen, denn fast alles um den Begriff Asperger ist schockierender und ableistischer* als man vermuten würde.
Zuerst einmal die Geschichte: Woher kommt der Begriff Asperger-Autismus? Asperger-Autismus wurde nach Hans Asperger benannt, einem österreichischen Arzt, der während der Zeit des Nationalsozialismus an „behinderten” Kindern forschte. Er war ein Nazi, der „behinderte” Kinder nach ihrer „Bildungsfähigkeit” kategorisieren sollte. 35 von 200 Kindern stufte er als „aussichtslos” ein, welches zu deren Ermordung führte. Dazu gibt es noch Beweise, dass er aktiv „behinderte” Kinder in Anstalten überwies, in welchen sie ermordet werden sollten. Schon einmal eine unschöne Sache hinter diesem alltäglichen Begriff. Was genau hat Asperger aber jetzt mit Autisten zu tun? Hans Asperger forschte an autistischen Jungen und benannte als erster die „autistischen Psychopathen” (später Asperger-Autisten). Er separierte die „dummen” Autisten von denen, die in seinen Augen noch „schlau” waren und „funktionierten”. Die „schlauen” waren dann die Asperger-Autisten.
Der Begriff „Asperger-Autist” kommt also nicht nur von einem Nazi, er signalisiert auch „Hey, ich bin Autist, aber keine Sorge, keiner von den Dummen, du weißt schon, die Nutzlosen die nur rumsabbern und niemals einen Job bekommen werden.” Also, ja, der Begriff ist nicht nur nach einem mörderischen Nazi-Arzt benannt, sondern auch noch ableistisch* konnotiert. Er existiert, um die „brauchbaren” von den „unbrauchbaren” Autisten unterscheiden zu können. Ein altes, von Nationalsozialismus geprägtes Denken. Deswegen ist das Asperger-Syndrom aus den Leitfäden genommen worden. Deswegen muss Asperger-Syndrom aus unserem Sprachgebrauch und unserem Denken verschwinden. Weg mit Aspie, weg mit Asperger-Syndrom, weg mit Asperger-Autismus. Fragt sich nur, womit könnte man es ersetzen? Das ist die große Frage.
Es gibt bereits die Bezeichnungen „High Functioning” und „Low Functioning”. Diese werden oft verwendet. Doch auch diese Begriffe muss man kritisch sehen. Auch hier kommt eine ableistische* Konnotation mit her; diese Autisten funktionieren und „sind klug” und die anderen eben nicht. Was für Alternativen gibt es denn?
Nun, da müssen wir uns etwas überlegen. Uns wird zwar nie zugehört, aber dennoch würde ich mich gerne an andere Autist*innen wenden und fragen: Was ist euer Vorschlag? Was ist ein Begriff, der keinen Keil zwischen uns treibt? Ein Begriff, der jede*n Autist*in wie einen Menschen behandelt und nicht die einen über die anderen stellt? Grübelt darüber nach und lasst die Welt eure Vorschläge hören, denn wenn es weiter nur nach neurotypischen Psychiatern geht, werden solche Bezeichnungen niemals aufhören. Wir verdienen ein Mitspracherecht und wir verdienen es, angehört und berücksichtigt zu werden. Schluss mit Aspie, Schluss mit „das sind die Doofen”. Wir sind alle Menschen und wir sind alle von gleichem Wert. Keiner ist mehr Mensch als der nächste. Wir alle haben eine Würde und wir verdienen es, dass diese respektiert wird.
*ableistisch, Ableismus = Diskriminierung gegen behinderte/gehandicappte Menschen
* neurotypisch = Das Gegenteil von neurodivers (jemand der neurologisch „anders” ist, z. B. Menschen mit AD(H)S, Autismus o.ä.). Neurotypisch sind also die neurologisch „normalen”.